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Kürzlich sitze ich in der Familienberatung, zu der ich regelmäßig gehe. Ich spreche dort über meine Herausforderungen in der Mutterschaft, mit meinem neuen „Ich“ und auch mit meinem Sohn. Plötzlich höre ich über meinen Sohn die Diagnose neurodivergent. Vielmehr ist es aktuell eine Vermutung, der ich nachgehen darf und die in mir gemischte Emotionen auslöst.
Was heißt die Diagnose neurodivergent?
Ich kannte Begriffe wie neurodivers und neurodivergent bisher nicht und schaute meine Familientherapeutin mit großen Augen an. Sie nannte mir Begriffe wie ADHS, Autismus, Lernbehinderungen und auch hochbegabt.
Die Gehirnfunktionen arbeiten wohl deutlich anders als bei neurotypischen Personen. Diese Menschen verarbeiten Informationen anders, lernen anders und reagieren anders, als es erwartet wird. Hier wird es für Anfänger, wie mich, verständlich erklärt.
Welche neurodivergenten Symptome hat mein Sohn?
Ich nehme einige Verhaltensweisen und Eigenschaften an ihm wahr, die stärker ausgeprägt sind.
Hyperaktivität: Er kann kaum stillsitzen und ist immer in Bewegung. Besonders bei Mahlzeiten daheim oder im Kindergarten bringt das Unruhe. Restaurantbesuche sind nicht möglich. Bei allem muss eine Form von Bewegung oder Interaktion stattfinden. Beim Zähneputzen bewegt er gleichzeitig den Fuß. Beim Buch anschauen schiebt er sich den Finger oder teilweise die ganz Hand in den Mund. Angeschnallt im Fahrradanhänger oder im Auto findet er einigermaßen zur Ruhe. Kaut dann aber teilweise auf dem Schal oder auf der Jacke.
Reizoffenheit: Im Restaurant ist es ihm zu laut. Das kann er auch so benennen. In den Naturkindergarten geht er gerne, aber die Kinder sollen weg, sagte er. Die wuselige Gruppe mit älteren Kindern und die vielen Freiheiten dort überfordern ihn. In Möbelhäusern, Drogeriemärkten und Supermärkten wirken so viele Reize, dass er nach kurzer Zeit wie wild mit seinem kleinen Einkaufswagen durch die Gänge braust und auf nichts mehr hören kann.
Impulskontrolle: Es wird körperlich, wenn es ihm zu viel wird oder er sich verloren fühlt. Manchmal auch, wenn er arg Hunger hat oder müde ist. Das kann er beides in den Momenten nicht äußern. Wenn es nicht um ihn geht, z.B. wie bei Arztterminen für mich, schmeißt er Sachen rum und rennt wild durch den Raum.
Kooperation: Manchmal funktioniert das Hören und manchmal gar nicht. Auf mich warten, fällt ihm sehr schwer. Wenn ich ihn bitte, etwas zu lassen, hat er so einen starken Drang, es doch zu tun. Es ist jeden Tag kräftezehrend.
Bisher hatte ich all das unter Autonomiephase, Testosteronspiegel der Jungs oder seiner selbstsicheren Persönlichkeit verbucht.
Regulation: Ich merke, er spürt sich wieder, wenn ich ihn fest packen und festhalte und „kämpfe“. Da würde ich mir sanftere Wege wünschen. Aus brenzlichen Situation direkt rausgehen funktioniert auch oft für ein Umschalten. Das geht nur nicht immer. Generell merke ich, dass die Natur, Musik und gemeinsames Buch anschauen ihn am besten reguliert.
Bin ich auch neurodivergent oder einfach nur hochsensibel?
Da die genetische Vererbung sein kann, habe ich mir diese Frage gestellt. Ich kenne es von mir, dass es mir schnell zu laut ist und dass ich oftmals leer & ausgelaugt bin, wenn ich Menschengruppen verlasse.
Ich habe 10 Jahre in einem Großraumbüro mit 10-12 Kollegen gearbeitet. Das war unglaublich anstrengend, Tag für Tag. Mehrere telefonieren gleichzeitig, manche bedienen die PC-Tastatur sehr laut, gleichzeitig läuft noch ein Radio. Ich habe das bisher als hochsensibel eingestuft und mich jahrelang dieser Reizüberflutung ausgesetzt. Ich konnte dort Kopfhörer nutzen und mich phasenweise aus dem Trubel ausklinken. Am produktivsten war ich nach 18.00/19.00 Uhr, wenn die anderen Feierabend hatten. Oft saß ich dann bis 21.00/22.00 im Büro.

Wenn ich die Symptome von ADHS z.B. lese, dann finde ich mich da teilweise wieder. Besonders bei den Konzentrationsstörungen. Ich weiß aber nicht, ob das schon immer so war, weil ich meine Familie nicht fragen kann.
Ich habe das bisher alles nicht hinterfragt, sondern mich irgendwie durchgewurschtelt. Mit den aktuellen Entwicklungen um meinen Sohn ändert sich das. Vielleicht steht am Ende des Prozesses auch für mich eine Diagnose?
Da der Vater von meinem Sohn abwesend ist, kann ich seinen genetischen Einfluss bzgl. einer möglichen neurodivergenten Diagnose aktuell nicht mit einbeziehen.
Wie geht es mir als Mama mit der Diagnose neurodivergent?
Ich habe sehr ambivalente Gefühle. Auf der einen Seite denke ich, dass eine frühe Diagnose hilfreich sein kann, um bestmöglich zu begleiten. Sodass ich weiß, was ihm wann einfach zu viel ist und was es dann braucht für die Regulation. Das würde unseren Alltag erleichtern, denn es entstehen regelmäßig angespannte Situationen zwischen uns beiden und auch im Naturkindergarten. Der Vorteil an einer konkreten Diagnose wäre der Zugang zu Hilfsmitteln und Therapieformen.
Auf der anderen Seite ist bzw. wäre die endgültige Diagnose ein Schock. Weil ich dann definitiv weiß, dass menschliche Ansammlungen mit Lautstärke wie auf Festen, Weihnachtsmärkten, Möbelhäusern usw. einfach zu viel für ihn sind. Dass die Reize ihn überfordern und ich uns beiden keinen Gefallen tue, wenn wir uns dem Aussetzen. Zudem, dass wir raus aufs Land sollten und raus aus der Stadt München. Ich denke, es würde radikale Schritte erfordern und wir weichen dann von der besagten Norm ab.
Wobei: wer sagt eigentlich, was die Norm ist? Und hat nicht jeder seine ganz eigenen Besonderheiten mit auf die Welt gebracht? Ist es nicht auch was Positives, wenn man diese Reizüberflutung so sehr spürt, dass man sich gar nicht erst aussetzt, weil sie am Ende ohnehin niemandem nachhaltig dient?
Ich hoffe insgeheim, dass sich hier keine Diagnose bestätigt. Ich hoffe einfach, dass sein Nervensystem schwer zur Ruhe kommt, weil es meine Daueranspannung im Alleinerziehenden Dasein spiegelt.

Oder weil er ein pränatales Trauma in meinem Bauch erlebt hat. Fakt ist, dass es mir in der Schwangerschaft körperlich und mental nicht gut ging. Ich habe jede Verbindung zu meinem Kind vermieden und steckte tief in einer Retraumatisierung. Jeglichen Stress nehmen die Kinder im Bauch wahr und können somit selbst chronische Überregung entwickeln. Die Entwicklung im Mutterleib wird erforscht und es gibt bereits viele Erkenntnisse. Das war mir bisher nicht in der Tiefe bewusst und löst Schuldgefühle in mir aus. Die Hausgeburt wiederum schien entspannt für ihn und auch im Wochenbett haben wir direkt eine Verbindung zueinander gehabt. Ich habe mich seit der Geburt verstärkt auf die Regulation des Nervensystems gekümmert. Vielleicht darf es noch intensiver sein.
Ich habe von der Familienberatung einige Adressen an die Hand bekommen und werde mich jetzt Stück für Stück vortasten. In jedem Fall ein emotional intensiver Prozess für mich und ich merke wieder, wie wichtig es ist, gehalten zu werden, als Elternteil. Gerne berichte ich hier von unserer weiteren Entwicklung und ob am Ende die endgültige und offizielle Diagnose neurodivergent stehen wird.




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