Zum ersten Mal hörte ich den Satz „Nicht schreien Mama“. Er ging mir durch Mark und Bein, wie man so schön sagt. Mein kleiner 2,5-jähriger Sohn stand da und schaute mich mit seinen blauen Augen. Seine Mama schreit und er hat sich erschrocken. Mein Mama-Herz blutete.
Mama möchte nicht schreien
Wahrscheinlich behauptet jeder von sich, dass er/sie schreien nicht mag. Ich möchte keine Menschen anschreien und schon gar nicht meinen Sohn, den ich sehr liebe. Danach fühle ich mich meist wie eine Rabenmutter und es tut mir sehr leid.
Ich bin froh, dass Schreien bei mir die Ausnahme ist und die die Regel. Und dennoch fühle ich mich schlecht deshalb. Ich spreche regelmäßig in meinem Eltern-Kind Kurs über meine Herausforderungen und meine Handlungen, die ich bereue. Unsere Kursleitung äußert dann, dass ich nicht so streng mit mir sein solle und alles seine Berechtigung hat und zum gemeinsamen Weg dazu gehört.
Gerade frage ich mich, ob ich auch als Kind angeschrien wurde und dieses Muster evtl. Ich erinnere mich nicht bzw. vielleicht habe ich es auch verdrängt. Auf jeden Fall ist Schreien für mich eine Art von emotionaler Gewalt und gleichzusetzen mit körperlicher Gewalt.
Wann schreit Mama?
Meist schreie ich los, bevor ich weiß, dass ich jetzt losschreien werde. Es sind ausschließlich Situationen mit meinem Sohn. Meistens geschieht es abends, wenn meine Geduld für den Tag aufgebraucht ist.
Über den Winter ist es tatsächlich häufiger passiert, denn wir waren viel daheim in der Wohnung und da ist viel Konfliktpotential.
Wenn wir draußen sind, kommt schreien sehr selten vor.
Da werde ich eher in potenziellen Gefahrensituationen laut, wenn ich z.B. „STOP-Straße“ mehrmals sagen muss und er einfach nicht hört.
Aktuell ist das Thema Zähneputzen recht anstrengend, da er darauf überhaupt keine Lust hat und ich keine Geduld, achtmal freundlich zu sagen, dass wir jetzt bitte die Zähne putzen.
Auch anschließend im Bett hüpft er gerne auf und ab und folgt nicht meiner Aufforderung, uns bettfertig umzuziehen.
Familien an der Belastungsgrenze
Ich möchte hier offen meine Herausforderung mit dem Thema „Schreien“ teilen, denn ich glaube, es geht einigen Familien ähnlich. Ich glaube, es ist wichtig, hier offen im Austausch zu sein. Es geht uns allen so und je offener wir damit umgehen, desto mehr können wir uns gegenseitig zuhören und uns unterstützen.
Ich denke, es wird geschrien, weil viele Familien an der Belastungsgrenze sind. Wenn die Entlastung durch Oma und Opa fehlt, lastet besonders in den Kleinkindjahren so viel auf den Schultern der Eltern. Plötzlich zu dritt und keiner ist wirklich darauf vorbereitet. Die Erschöpfung der Eltern ist für mich sehr spürbar.
Von Alleinerziehenden ganz zu schweigen. Wir managen das Leben von 2 Personen komplett allein. Wir versuchen dazu noch Geld zu verdienen, haben immer wieder Existenzängste. Wir machen weiter, auch wenn wir wieder eine Kita-Krankheit abbekommen haben. Wir decken komplette Kita- und Kindergartenferien allein ab. Wir pflegen unsere Kinder gesund und jonglieren trotzdem noch sämtliche Bälle parallel. Diesen Blogpost hier schreibe ich gerade, währenddessen ich bei meinem Zahnarzt im Wartezimmer sitze. Wir sind wahre Künstler des Multitaskings.
Wir dürfen wütend sein
Damit meine ich sowohl Eltern als auch Kinder. Wut ist ein wichtiges Gefühl, das gefühlt werden mag. So viele von uns haben es nicht gelernt, dieses Gefühl anzunehmen und auch auszudrücken. Die Frage ist, wie man gesund mit der Wut umgeht, ohne andere Menschen körperlich oder psychisch zu verletzen, denn beides ist eine Form von Gewalt. Ich glaube, dass beides nachhaltig Spuren bei den Kindern hinterlässt.
Wichtig finde ich das Verhalten nach dem Schrei-Ausbruch. Ich versuche mich, bei meinem Kind zu entschuldigen und die Verantwortung für mein Handeln bei mir zu behalten. Ich erkläre ihm, dass ich sehr wütend war. Ich möchte auf keinen Fall das Gefühl auslösen, dass er nicht „gut genug“ ist und nachhaltig seinem Selbstwertgefühl schaden.
Mama schreit
In meiner Trauma Therapie habe ich zum Wut Ausleiten den Weg, des Kissen zusammendrücken kennengelernt. Die aufkommende Wutenergie wird in gewisser Weise kontrolliert abgeleitet, ohne dass andere Menschen involviert sind. Jetzt habe ich nicht ständig ein Kissen oder einen quetschbaren Gegenstand zur Hand.
Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam einen gesunden Weg finden, die Wut von ihm und auch von mir aus dem Körper fließen zu lassen. Vielleicht durch Schütteln, Springen oder Luftboxen. Eine bedürfnisorientierte Begleitung ist mir nach wie vor wichtig.
Ich möchte zudem weiterhin regelmäßig an der Regulation meines Nervensystems arbeiten. An den Tagen, an denen ich in der Natur war, mir Pausen zum Auftanken nehme oder nährende Begegnungen hatte, schreie ich eher nicht.
Da habe ich mehr Kapazität, um meinen Sohn sanfter zu begleiten.
Ich schaue aktuell, ob mich mehr Menschen unterstützen können in der Betreuung meines Sohns. Nach der Geburt hatte ich die Leihoma Ingrid zur Unterstützung und so eine Hilfe wäre auch jetzt großartig. Gerade habe ich eine Familienpflegerin angefragt. Eine regelmäßige und verlässliche Hilfe würde unglaublich entlasten. Am Wochenende war mein Sohn Samstag nachmittags bei seiner kleinen Freundin Malou und ich durfte 2,5h mit meiner Freundin in einem Restaurant sein. Das war so besonders und hat mir Kraft gegeben. Diese Art der gegenseitigen Unterstützung macht so viel aus.
Bedürfnisse zu spüren und Grenzen wahren zu können ist wichtig. Wir dürfen gut für uns sorgen.
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